Ankes Geschichte

Anke ist schon immer sehr dünn, nannte sich früher Spargeltarzan, sportliche 1.68 m groß, keine 55 Kilo. Jetzt sitzt sie in einem Restaurant in Berlin-Prenzlauer Berg, rechts von ihr sitzt ihr Freund Patrick. Er hat alles miterlebt, die Diagnose, die Chemotherapie, die durchwachten Nächte an Ankes Seite, die Angst und die beklemmende Hilflosigkeit der Freunde und Familie, die zu oft in Schweigen endete.

Anke wird bald Mutter. Unter ihrem blauen Kleid wölbt sich der Bauch, siebter Monat. Es wird ein Mädchen. Das Kind ist gesund. Anke ist gesund. Sie hat den Krebs besiegt. Jetzt will sie ihre Geschichte teilen, Mut machen, denen helfen, die dieselbe Diagnose bekommen: Krebs.

Diese Krankheit, an der jedes Jahr 500.000 Menschen in Deutschland erkranken und 224.000 daran sterben. Diese Krankheit, vor der sich auch Anke immer gefürchtet hat. Ein nagender Gedanke im Hinterkopf. Hässliche Sekunden der Angst, seitdem sie mit 20 Jahren zum ersten Mal eine seltsame Schwellung am Hals ertastete.

„Dünne Menschen hätten nun mal sichtbare Lymphknoten“, erklärt ihr ein Arzt schon vor 14 Jahren. Außerdem hätte sie doch so oft Bronchitis, da wachsen die Knoten immer wieder. “Das. Ist. Normal.” Ein beruhigender Satz…

Trotzdem spielt Anke immer wieder an dem Knubbel herum. Immer links. Doch dann verdrängt der Alltag die Sorgen. Ankes Alltag, geprägt von einem frühen Freund, der großen Liebe, die keine war. Als sie ihn mit 26 Jahren heiratet, hat sie blaue Flecken unter dem weißen Brautkleid. Dann die Scheidung, der heimliche Auszug, nachts. Außerdem ein neuer Job, ein Start-Up, viele Stunden, wenig Geld. Bald darauf die Kündigung.

Der Gedanke an den Krebs kommt wieder an Weihnachten 2012. Seit einem halben Jahr ist Anke mit ihrem jetzigen Freund Patrick zusammen. Eine Sommerliebe, die andauert, nennt sie es. Der Gutmütige, der Vater-Typ. Einer, bei dem man bleibt. Kurz vor Weihnachten kauft sich Anke einen Schal, grau, kuschelig, schön. Anke trägt ihn, doch dann hat sie eine starke allergische Reaktion, geht Heiligabend ins Krankenhaus. Ihre Arme kribbeln, sie hat Taubheitsgefühle. Dann sagt die Krankenschwester diesen Satz... “Sie könnten auch Leukämie haben.” Da ist er wieder, dieser nagende Gedanke.

Anke geht nach dem Weihnachtsurlaub zum Chirurgen. Keine Diagnose. Der Lymphknoten sei beweglich, sagt der Arzt, das heiße: normal. Nur, wenn er verankert wäre, würde das auf eine Bösartigkeit hindeuten.

Doch Anke will jetzt Gewissheit, sie will den Knubbel loswerden und den nagenden Hintergedanken auch. Sie sagt:

“Bitte entfernen Sie mir den Lymphknoten.”

 Der Chirurg entfernt ihn, kann jedoch nur 70 Prozent des Gewebes entnehmen, der Rest liegt zu nah an den Nerven. Aber auch alles davon ist beweglich, das deutet nicht auf einen bösartigen Tumor hin.

 Es vergeht eine Woche. Bis zum Dienstagmorgen, 8.47 Uhr. Seit 8 Uhr sitzt Anke in einer Schulung. Es geht um Lohnabrechnungen, in diesem Bereich soll sie anfangen. Die Neue, 29 Jahre alt, eine junge Frau, die noch alles vor sich hat.

 Das Telefon klingelt. Es ist eine unbekannte Nummer. Eine Berliner Nummer. Es ist der Chirurg. Anke soll kommen. Schnell. Es ist 12.30 Uhr. Und Anke hat Lymphknotenkrebs. Zwei Tage später tritt sie ihren neuen Job als Vertriebsassistentin an. Doch nichts ist mehr wichtig. Der neue Job, die Krankenversicherung, der Streit mit dem ehemaligen Arbeitgeber.

 Anke stellt schnell fest, dass es keine Internetplattform oder Selbsthilfegruppe gibt, die ihr helfen kann. Überall springen ihr nur Worte entgegen, wie “Schmerzen”, “Freunde, die sich abwenden”, “Angst”, “Tod”... Und dabei wünscht sie sich so sehr eine Stimme, die ihr sagt “Alles wird gut, Du kannst das schaffen und gesund werden!” Doch da ist nichts.

 Trotz allem bleibt Anke positiv. Sie will gewinnen. Wenn sie abends neben Patrick wach liegt und beide weinen, ist sie die Starke. Sie wird den Krebs besiegen. Und wenn sie das geschafft hat, soll es anderen nicht so gehen wie ihr. Sie will etwas gegen diese Negativität unternehmen.

“Wenn ich das nicht mache, wer macht es dann?”

fragt sie Patrick und sich selbst jeden Tag vor dem Einschlafen. Doch oft genug kommt der Schlaf nicht. Denn nicht nur der Gedanke ans Weiterleben kreist in ihrem Kopf. Es ist eine Lebensentscheidung, für die sich andere Paare Jahre Zeit nehmen. Anke und Patrick haben 12 Stunden für die Frage:

“Wollen wir Kinder?”

“Du bist wie in einem Zug. Die Termine fliegen vorbei und du kannst nicht aussteigen. Du fährst bis zur Endstation. Und hoffst, dass du dann aussteigen kannst.”



Zwanzig Prozent der betroffenen Paare können nach einer Chemotherapie keine Kinder mehr zeugen. Anke und Patrick sind 1,5 Jahre zusammen. Die Ärztin teilt ihnen mit, dass, es eine schnelle Entscheidung sein muss, wenn sie eine Familie gründen wollen. Sie haben bis zum nächsten Morgen Zeit.

 “Ein Brandbeschleuniger für die Beziehung”, nennt Anke das. Das Paar borgt sich Geld bei den Eltern, nimmt einen Kredit auf, ihr Kinderwunsch kostet mehrere Tausend Euro. Anke und Patrick lassen sechs befruchtete Eizellen einfrieren. Dann beginnt Anke mit der Chemotherapie.

Die Wochen danach werden von Ärzten und Krankheit getaktet. Das Warten auf den Onkologen. Die Termine im Computertomografen (CT) und Ultraschall, die Studie in der Berliner Charité, an der Anke teilnimmt. Die Schmerzen bei der Knochenmarkentnahme, als der Arzt fünf Mal mit dem Bohrer in ihren Beckenknochen muss. Die Chemotherapie wird zum Alltag, acht Wochen lang, eine Sitzung alle zwei Wochen, vier Spritzen und zwei Beutel mit rosa und gelber Chemie, die ihr durch die Arme jagen.

“Man kann es nicht beschreiben. Es ist kalt, wenn das Gift durch den Unterarm läuft.”

Und die Haare fallen aus. Anke und Patrick führen ein Video-Tagebuch. Auf einem Film sieht man Patrick, wie er Ankes lange, braune Haare abschneidet. Mit dem Elektrorasierer. Anke trägt zum ersten Mal Glatze, sie will lächeln, doch sie muss weinen. Der Haarausfall macht alles so real.

Das alles ist jetzt einige Jahre her. Es ist 20.47 Uhr an einem Donnerstagabend. Anke hat den Krebs überlebt.

Sie und Patrick werden Leben schenken. Sie trägt eine der Eizellen aus, die einzige von sechs, die das Einfrieren und Auftauen überlebt hat. Das Mädchen, das in ihr heranreift, soll Zoe heißen. Sie ist das Wunder dieser Geschichte, das es nur gibt, weil Anke an sich geglaubt hat. An ihr Leben nach dem Krebs. Weil Anke den Krebs besiegt hat.




Heute…

Anke, Gründerin von Eisvogel e.V. heute

Und auch ihren Gemeinnützigen Verein, den Anke kurz nach ihrer Erkrankung zusammen mit Freunden gründet, gibt es, weil Anke an das Mehr glaubt, immer geglaubt hat. Daran, dass sie mehr geben will.

Mit ihrem Verein Eisvogel e.V., der Hoffnung machen soll und nicht die Krankheit in den Vordergrund stellt. Er soll Gemeinschaft bieten, Hilfe und Trost. Als natürlicher Feind des (Klein-) Krebses, soll der Eisvogel der Krankheit Krebs den Schrecken nehmen. Er soll mehr sein als die Strahlen, die Chemie und die kalten Worte der Medizin.

Er wird die Stimme sein, die Anke vermisst hat. Die Stimme, die Krebserkrankten sagt

“Alles wird gut. Du kannst das schaffen. Du kannst gesund werden!“